"Und das ist unser Präsident!", sagte der Taxifahrer,
während er mit gefühlten 200 km/h über die Autobahn donnerte und mir unbedingt
die politische Führung des Landes – wohlgemerkt: mit beiden Händen – bei
YouTube zeigen wollte. „Willkommen in Bulgarien!“, dachte ich mir.
Aber warum eigentlich Bulgarien? Ganz einfach, weil ich den
Osten interessanter fand. Alle gehen nach Spanien, Frankreich oder Schweden.
Ich wollte etwas Anderes, aber noch in Europa bleiben. Deshalb habe ich mir
Bulgarien ausgesucht; Kyrillisches Alphabet, unterschiedliche Mentalität,
unterschiedlicher Lifestyle und Werte – ich wollte mal was Neues. Außerdem
wollte ich viel reisen. Sofia ist ein toller Ausgangspunkt zu allen Ländern des
Balkans, der sehr divers ist. In meiner Vorstellung verband ich Bulgarien vor
allem mit dem Goldstrand, Sozialismus, Banden und Kälte im Winter – das klang mir zu negativ,
also wollte ich dahin. Aber nun weiter im Text.
Wie die meisten Erasmus-Studierenden bin ich am Terminal 1
des Flughafens Sofia gelandet, von der Optik mit Berlin Schönefeld, in klein,
vergleichbar. Später habe ich dann noch festgestellt, dass es auch ein Terminal
2 gibt, das groß und schön ist; aber das steuert Raynair halt nicht an.
Nach einer tollen Nacht im Arthostel, das eine richtig coole
Bar, die Artbar, im Keller beherbergt, konnte ich dann auch schon direkt am
nächsten Morgen in das Studentenwohnheim einziehen, die jedem Erasmus-Studierenden
der Uni-Sofia gestellt wird. Die Miete
muss man noch wunderbar am Schalter bar bezahlen.
Als ich dann im Block 8, Studentski Grad (auch liebevoll
Stuttgart genannt), mein Zimmer betrat, war das ein merkwürdiges Gefühl: es sah
einfach aus wie im Gefängnis. Man kann es nicht so recht in Worte fassen, darum
habe ich euch einfach mal ein Foto hier mit reingepackt. Aber was soll man auch
erwarten für ungefähr 40 Euro Miete – die hat die meisten dann wirklich
überzeugt. Nur leider hat der ganze Block nur drei mickrige Küchen, in denen
kochen praktisch unmöglich ist; übrigens genauso wie Lebensmittel im
Kühlschrank zu lagern. Deshalb gehen alle Studenten immer außerhalb essen und genießen
die günstige, fettige, käselastige und fleischhaltige bulgarische Küche - am Ende werden wir alle dick. Aber egal,
dafür ist sie einfach zu lecker. Mein Favorit ist übrigens der Shopska Salat,
in dem sind einfach bulgarisch Tomaten, Gurken, manchmal Zwiebeln oder gegrillte Paprika und dann wird alles mit ordentlich viel weißem Käse
überrieben – einfach köstlich!
Aber jetzt mal ein bisschen was zur Stadt an sich. Die Stadt
ist traumhaft im Hochland gelegen und von Berggipfeln umgeben, die man überall
um die Stadt herum erkennen kann. Am Stadtrand beginnen auch schon gleich die
Skigebiete, die man mit einem Lift ganz einfach und bequem erreichen kann. Generell
ist die Stadt noch sehr vom Sozialismus geprägt. In der Innenstadt finden sich
noch viele Überbleibsel sozialistischer Monumentalarchitektur, wie zum Beispiel
der Sitz des Präsidenten und dem gegenüber der Sitz des Ministerpräsidenten –
der Lieblingsplatz vieler Bulgaren. Aber auch ein paar alte Gebäude aus dem 19.
Jahrhundert, ja sogar von den Römern. Insgesamt kann
man sagen, dass die Stadt einen recht maroden Eindruck macht, der aber
durchaus charmant ist. So findt sich auch in einigen Straßen eine kleine – ich
nenne sie mal – Hipster-Kultur wieder. Überall gibt es außerdem Bars, Pubs
und viele Restaurants.
![]() |
Das alte Hauptgebäude der kommunistische Partei. |
![]() | |
Bulgarische Parlament |
![]() |
Alexander-Newski-Kathedrale
|
![]() |
National Theater |
Soviel zur Innenstadt. Die umliegenden Bezirke unterscheiden
sich enorm davon. So gibt es in der Innenstadt nur enge Straßen mit
aufgereihten flachen Häusern, während es am Stadtrand vor allem Blöcke und
viel Freiraum gibt. Seine Adresse sagt man auch nicht mit Straßennamen dem
Taxifahrer, sondern man nennt einfach den Bezirk und den Block. Für
Studenten interessant ist allerdings
nur Studenski Grad, also der Studentenbezirk. Dort gibt es sehr viele Universitäten, darunter die Universität für Nationale und Weltwirtschaft (UNWE). Zwischen den Blöcken gibt es jede Menge Bars und Clubs, die fleißig in der Nacht genutzt werden. Einziger Wehmutstropfen: Es fährt in der Nacht kein öffentlicher Nahverehr mehr – also die beiden U-Bahnlinien, die Straßenbahnen, die Omnibusse und die Busse ab Mitternacht nicht mehr. Man ist dann leider auf das Taxi angewiesen.
nur Studenski Grad, also der Studentenbezirk. Dort gibt es sehr viele Universitäten, darunter die Universität für Nationale und Weltwirtschaft (UNWE). Zwischen den Blöcken gibt es jede Menge Bars und Clubs, die fleißig in der Nacht genutzt werden. Einziger Wehmutstropfen: Es fährt in der Nacht kein öffentlicher Nahverehr mehr – also die beiden U-Bahnlinien, die Straßenbahnen, die Omnibusse und die Busse ab Mitternacht nicht mehr. Man ist dann leider auf das Taxi angewiesen.
Die Universität Sofia ist in einem wunderschönen Gebäude in
der Innenstadt gelegen. Der mittlere Teil sieht aus wie Hogwards und die Flügel
haben einen sozialistischen Touch, also durchaus widersprüchlich, aber dadurch
sehr spannend. Meine Fakultät befindet sich aber leider nicht dort, sondern ist
ungefähr 10 min mit dem Bus entfernt. Die Vorlesungen haben letzte Woche
begonnen, weshalb ich noch keinen richtigen Eindruck davon habe – also berichte
ich euch im nächsten Blog davon.
Aber das wirklich Interessante an der Stadt ist natürlich
nicht die Stadt an sich, sondern die Menschen, die in der Stadt wohnen und
leben. Die Bulgaren sind sehr offen, freundlich und hilfsbereit. Die meisten
Jüngeren könne gut Englisch sprechen, bei den Älteren hapert es ein
bisschen. Bisher bin ich ganz gut ohne Bulgarisch Kenntnisse
durchgekommen. Die Erasmus-Szene ist sehr klein und beschaulich, es gibt nur 300 Erasmus-Studenten in der gesamten Stadt. Das coole daran
ist: man trifft sich wieder, kennt am Ende jeden und lernt sehr schnell neue
Leute kennen. Das hat seinen besonderen Charme. Die Wenigsten können Bulgarisch
sprechen und Englisch ist bei den meisten auch ganz ok.
Ansonsten ist mir noch aufgefallen, dass sich die
Bulgaren recht hübsch machen, vor allem die Bulgarinnen. Hohe Schuhe und
perfektes Make-Up gehören dort zum Standard. Die Männer haben oft sehr dem Klischee
entsprechend, kurze Haare und ein etwas prolliges auftreten, das man da jedoch
ganz anders interpretieren muss als in Deutschland.
Das Ziel eines jeden Erasmus-Studierenden ist es: Ich will
auch Einheimische kennenlernen! Und das kann man wirklich zu Bulgarien sagen:
es ist verdammt einfach. Viele Studenten aus Sofia freuen sich richtig, wenn
sie einen Erasmus-Studenten treffen. Man verabredet sich schnell und geht dann
gerne mal abends feiern oder isst gemeinsam.
Was mich super gefreut hat, war, dass die Meisten die gleiche
Motivation wie ich hatten und auch vorhaben in der zu reisen! Gerade
sind wir dabei unsere Trips nach Istanbul, Bukarest, Weliko Tarnowo, Belgrad
und Thessaloniki zu planen. Außerdem organisiert das Erasmus Stundet Network (ESN) noch kleine Trips und jede Woche eine Party.
Bisher fühle ich mich recht wohl in Sofia. Langsam kehrt der Alltag
ein – über den freue ich mich sogar ein bisschen. Aber langweilig wird es wahrscheinlich
nicht. Inzwischen ist mein Bild viel differenzierter und offener.
Letzte Woche war ich in Lissabon und habe jemanden besucht,
dort habe ich einen Belgier getroffen. Ich habe ihm dann erzählt, dass ich mein
Erasmus in Sofia mache. Er meinte dazu nur: „Ich finde deine Entscheidung super
– eine kleine Szene und eine interessante Region. Man unterschätzt Bulgarien. Ich
hätte es auch so gemacht.“ Ich nickte und dachte mir: Er hat vollkommen recht.
Über den Autor
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen